Ein junger Tschetschene muss sich während eines erzwungenen Videos halbhockend eine Flasche anal einführen. Das Ganze hört sich an, wie aus einem schlechten Film. Ist es aber nicht. DER-BARNIMER hat das entsprechende Video gesehen. Es wird hier nicht veröffentlicht, da dadurch kein Mehrwert für die Berichterstattung entsteht. Das Thema ist relevant, da es zeigt, wohin allein schon Propagandakriege führen können. Tschetschene gefoltert?
19 Jähriges Opfer – Propaganda-Krieg
Am 07. September erscheint das Video in Sozialen Netzwerken. Es verbreitet sich rasch. Die erste Veröffentlichung findet innerhalb eines Telegramm-Kanals statt. Dieser wird einer Gruppe mit dem Namen “Adat” zugerechnet. “Adat” bedeutet so viel wie “vorislamisches Gewohnheits- oder Stammesrecht”. Die Teilnehmer verstehen sich als Sammelbecken für Gegner der aktuellen tschetschenischen Regierung unter Ramsan Achmatowitsch Kadyrow. Dieser Mann ist dem Sufismus – einer sunnitischen Ausprägung des Islam – zuzurechnen. Dazu später mehr.
Das genannte Video zeigt einen völlig nackten jungen Mann, der mit einer Glasflasche vor sich auf den Knien sitzt. Während dieser Aufnahme nennt Salman T. seinen vollständigen Namen und sein Alter. Weiter sagt er, er sei einer der Administratoren des “Adat”-Kanals. Es handele sich um eine schmutzige Gruppe, in der sie beschämende Dinge tun. Dies sei für einen Tschetschenen unwürdig. Darum bestrafe ich sich jetzt selbst, bevor er den “Staffelstab” weiter gibt.
Dann nimmt er die immer noch vor ihm stehende Flasche, dreht sich in halbhockender Position seitlich zur Kamera und versucht sich die Glasflasche anal einzuführen. Sein Gesicht soll sich vor Schmerz verzerren. Dieses kann DER-BARNIMER nicht bestätigen. In der ihm vorliegenden Version ist das Gesicht des jungen Mannes mit einem Bild von Ramsan Kadyrow verdeckt und der Genitalbereich des Opfers ist verpixelt. Das Video bricht an dieser Stelle ab.
In einem zweiten Video, das am 08. September erscheint, sagt Salman T., dass er bedroht wurde. “Entweder er tut was von ihm verlangt oder er bekommt eine Kugel in den Kopf.”
Tschetschenien kurz, allgemein
Die autonome Republik liegt im Nordkaukasus, in Russland. Sie hat etwa 1,5 Millionen Einwohner. Die Region war nach der Auflösung der Sowjetunion Schauplatz zweier Kriege – zwischen teils Islamisten und der russischen Regierung. Derzeit wird die Republik von der Partei “Einiges Russland” unter Ramsan Achmatowitsch Kadyrow regiert, der als Verbündeter Putins gilt. Sein Vater, Achmat Kadyrow ist im ersten Tschetschenien-Krieg noch Gegner Russlands. Dort ist zu jenem Zeitpunkt Boris Jelzin offiziell an der Macht.
Der Erste Tschetschenienkrieg endete nach fast zwei Jahren am 31. August 1996 mit dem Friedensschluss von Chassawjurt. Doch den Tschetschenen gelingt es nicht einen funktionierenden Staat aufzubauen. Im Herbst 1999 beginnt Krieg Nummer Zwei. Dieser zieht sich schließlich bis in das Jahr 2002. Zum Landespräsidenten ist Achmat Kadyrow bestimmt. Er fällt 2004 einem Anschlag durch eine platzierte Landmine zum Opfer, worauf sein Sohn Ramsan das Amt des Landespräsidenten weiterführt. Ramsan Kadyrow werden verschiedenste Verbrechen vorgeworfen. Jene zu widerlegen oder zu bestätigen vermag dieser Artikel nicht.
Undurchsichtige Gemengelage von Beteiligten
An der Macht sind die Sufisten, die eine orthodoxe sunnitische Ausprägung des Islam leben. Sie zeichnen sich durch asketische Tendenzen und eine eher spirituelle Orientierung aus. In den 1990er-Jahren finanzierte Saudi-Arabien Moscheen und investierte in die Region. Dadurch gewinnt der Wahabismus, ebenfalls eine sunnitische aber sehr strenge Lesart des Islam, an Einfluss. Das brachte eine Radikalisierung zumindest von Teilen der Bevölkerung mit sich.
Damit aber nicht genug. In Tschetschenien stehen Stammesverbände ((Tukhum) bzw. Clans (Taips) oftmals noch über der eigenen Religion. Wobei die Stammesverbände aus den Clans entstehen, aber nicht alle Clans Stammesverbänden zugehören. Für den Beobachter sind diese Netze kaum zu überblicken.
Wer gegen wen und wer zusammen?
Im zweiten Tschetschenien-Krieg kämpften nicht nur diese Protagonisten eben auch gegeneinander. Kadyrow gegen Bassajew ist so eine Auseinandersetzung. Später bekennt sich Bassajew zu dem Anschlag auf Kadyrows Vater Achmat. Es gibt noch weitere Mitspieler. Zum Beispiel Ibn al-Chattab. Er stammt aus einer saudi-arabischen Familie und wird im Tschetschenien-Krieg als Söldner angesehen. Ibn al-Chattab besucht verschiedene Koranschulen, aus denen auch die Taliban hervorgehen. Dieser Mann verbündet sich mit Kadyrows Gegner Bassajew. Ihr langfristiges Ziel besteht im errichten eines Kalifats in der Region Tschetscheniens und darüber hinaus.
Langsam wird klar, warum die Kadyrows und andere Tschetschenen auf die Seite Russlands wechselten. Schlussendlich bestand wohl kein Interesse, sich perspektivisch externen Kräften unterordnen zu müssen. Auch Differenzen zwischen Sufisten und Wahhabiten obwohl beide Sunniten macht jetzt Sinn. Während die Einen traditionell in Tschetschenien verankert sind, sind die Anderen durch Saudi-Arabien implementiert. Da war der Deal wohl recht einfach. Ihr dürft euch als eigene Republik selber verwalten und werdet dabei unterstützt, aber ihr bleibt in einem Bund mit Russland.
Am 11. Juli 2006 gab der russische Inlandsgeheimdienst FSB an, in der Nacht auf den 10. Juli 2006 Bassajew liquidiert zu haben. Chattab starb schon am 19. März 2002 durch einen vergifteten Brief. Auch hier war der FSB federführend, indem er den Brief über einen vorher rekrutierten Boten übergeben ließ.
Video Tschetschene gefoltert: Ein Verbrechen oder üble Propaganda
Nun kommt die Stelle an der zu überlegen ist, wer für das “Folter-Video” verantwortlich zeichnet. Der Telegram- “Adat”-Kanal, zu dessen Administratoren auch das “Opfer” Salman T. zählen soll, hat rund 11 000 Abonnenten. In Tschetschenien leben wie schon beschrieben etwa 1,5 Millionen Menschen. Sollen 11 000 davon wirklich eine so große Gefahr für die Regierung Kadyrow sein, dass diese handeln lies oder gehandelt hat?
Oder fühlte sich einer der Stammesverbände oder Clans durch die Aktivitäten von “Adat” gestört? Selbst wenn die Übersetzung des Namens “vorislamisches Gewohnheits- oder Stammesrecht” bedeutet, wollen es manche vielleicht nicht in den Händen eines 19-Jährigen wissen. Auch das wäre möglich.
Waren es vielleicht religiös motivierte Täter, die sich an “Adat”, dem “vorislamisches Gewohnheits- oder Stammesrecht” störten? Wie schon festgestellt gibt es auch sehr radikal eingestellte Muslime in Tschetschenien.
Am Ende kommen auch Täter in Frage die Salman T., aus welchem Grund auch immer, für einen Homosexuellen halten. Schwule haben in Tschetschenien nichts zu lachen. Sexualität ist ein Thema über das allgemein nicht gesprochen wird, auch unabhängig von Religion. Auf diesen Gedanken brachte mich Menschen, die sich in der Region sehr gut auskennen, mit denen DER-BARNIMER zu diesen Artikel gesprochen hat.
Letztlich möglich ist aber auch, dass das Video eine Inszenierung ist. Wie kommt DER-BARNIMER darauf? Will man jemanden wirklich böse bestrafen, lässt man ihn dann auf dem Fußboden auf einer Decke knien, womöglich damit es weicher ist? Auch eine andere Version des Videos, welches dem BARNIMER nicht vorliegt, endet mit dem Versuch Salman T. sich die Flasche einzuführen, bevor das Bild ausgeblendet wird. Handeln so Täter, die eine maximale Schockwirkung erreichen wollen?
Propaganda auf jeden Fall
Dafür wird dieses Video aber definitiv genutzt. Verschiedene Seiten versuchen ihren Vorteil aus den Aufnahmen zu schlagen. DER-BARNIMER nimmt es vorerst nur zur Kenntnis. Vielleicht verstehen Sie jetzt warum ich eingangs sagte: “Es wird hier nicht veröffentlicht, da dadurch kein Mehrwert für die Berichterstattung entsteht.” Es bleibt zu beobachten, was aus diesem Fall noch wird.